Das Genogramm

Die Arbeit mit der Ahnenreihe in der Gesprächstherapie bei Reversio

 

02. Mai 2023 | Laura Müller, M.A.

 

 

 

Der Stammbaum bzw. das Genogramm oder viel mehr das, was unsere Vorfahren erlebt haben, hat einen Einfluss auf das, was wir heute erleben. Ängste, Konflikte und Verhaltensweisen, mit denen wir in der Gegenwart Situationen begegnen können epigenetisch vererbt werden.

 

 

Im Falle eines gegenwärtigen Problems lohnt es sich, einen Blick in die Familiengeschichte zu werfen.

 

Die aktuelle Forschung befasst sich ebenfalls mit dieser Thematik. Einschneidende gesamtgesellschaftliche Ereignisse wie Hungersnöte, Kriege oder Flucht können unterbewusst bis heute in uns bestehen und in einer Konfliktsituation zum Vorschein treten.

 

Wissenschaftliche Basis

Die Sonderausgabe Epigenetik * des Spektrum Verlags hebt unter anderem die Auswirkungen des Hungerwinters 1944/45 auf die im genannten Jahr geborenen Kinder hervor (Reinberger 2016: 31). So litten die erwähnten Kinder im Erwachsenenalter vermehrt an Adipositas und Herz-Kreislauf-Problemen (Fischer 2016: 45). Ein möglicher Grund auf wissenschaftlicher Basis ist eine veränderte DNA-Methylierung. Sie beschreibt im Allgemeinen das An- oder Abschalten bestimmter Gene.

 

Eine weitere erwähnte Studie belegt eine veränderte Methylierung bei Frauen sowie deren Nachwuchs, die während des Hutu-Tutsi-Konflikts 1994 in Ruanda schwanger waren. Der Genozid, der viele Tote forderte, stellten einen erhöhten Stressfaktor da, der sich dementsprechend auf die Methylierung auswirkte (Reinberger 2016: 33).

 

Anhang eines Experiments mit Mäusen lässt sich zudem die Übertragung an die nächste sowie übernächste Generation nachweisen. Forscher setzten Mäuse einem bestimmten Geruch aus und gaben diesen zeitgleich einen Stromschlag. Von nun an verbanden die Mäuse den Geruch mit dem Stromschlag. Die nachfolgenden Generationen erstarrten sobald sie diesem Geruch ausgesetzt waren, obwohl hier kein Stromschlag erfolgte (Dönges 2016: 23). Dies belegt die epigenetische Vererbung äußerer Umwelteinflüsse mit dem Erlebten.

 

Die genannten drei Experimente liefern einen wissenschaftlichen Einblick in das, was unsere Ahnen uns möglicherweise mitgaben. All das befindet sich in unserem Unterbewusstsein und kommt dann zum Vorschein, wenn es erneut um das Überleben geht. De facto spielt das für uns in der Gegenwart keine Rolle mehr und dennoch reagiert unser Mechanismus weiterhin auf diese Weise, bis wir bewusst erkennen, was passiert und den Schalter finden, um ihn auszukoppeln.

 

Therapie

Eine Möglichkeit besteht in einer Konfrontationstherapie bzw. der Emotionalen Umkehr. Dabei handelt es sich um eine Methode des erneuten Durchlebens und Fühlens der traumatischen Emotion im geschützten Raum der Gesprächstherapie.

 

Auch wenn die Ahnen nicht mehr leben, so können wir uns doch vorstellen, was sie erlebt haben könnten. Und schlussendlich geht es darum, wie jede einzelne Person die tradierten Erfahrungen und/oder Erlebnisse der Ahnen bisher ihre Realität integrierten und als real annahmen. Hierin liegt die Chance: wenn Sie feststellen, dass das, was Ihre Urgroßeltern, Großeltern oder Eltern erlebten für Sie heute keine Rolle mehr spielt, haben Sie die Möglichkeit dies in Ihrer Realität zu ändern.

 

Aus den genannten Gründen ist ein Blick in den Stammbaum bzw. das Genogramm im therapeutischen Kontext sinnvoll und hilft dabei, tradierte Glaubenssätze und alte Konflikte in der Gegenwart zu lösen.

 

 

Außerdem

Einen Einblick liefert per Mausklick folgender Videobeitrag.

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Hörenswert

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*Referenzen

  • Dönges, Jens (2016): Über Generationen hinweg. Mäusekinder erben Erfahrungen der Großeltern, S. 22-29. In: Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT, Epigenetik, 11.10.2014. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg.
  • Fischer, André (2016): Hirnforschung. Die Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen, S. 37-52. In: Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT, Epigenetik, 11.10.2014. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg.
  • Reinberger, Stefanie (2016): Vererbung. Angst im Genom, S. 30-36. In: Spektrum der Wissenschaft KOMPAKT, Epigenetik, 11.10.2014. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg.